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Sonntag, 22. Januar 2017
13. Holzbildhauer Symposium, Zigmunds. Schlangen.
rusalka, 22:49h
Ich hatte mir vorgenommen nicht jeden Tag neugierig an der Balustrade zu stehen; als ich die Open-Air Werkstatt am 14. Werk-Tag erneut besuche, haben die Kieferstämme unter den Sägen und Meißeln der Künstler bereits Konturen angenommen.
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Sobald Hoyoung mich erblickt unterbricht sie ihre Arbeit und kommt zur Absperrung - was ich ihr hoch anrechne. Nach kurzem Plausch lädt sie mich zu einer Tasse Mokka ein, die die freundlichen Helfer im Küchencontainer sofort zubereiten. Zum Mokka gesellt sich ein Kästchen Gebäck von Hanci, den besten Teig-Künstlern der Stadt.
Den Kollegen gilt das als Signal ebenfalls eine Pause einzulegen. Sie gruppieren sich um den Nebentisch, blicken interessiert zu uns herüber und fragen sich wohl wer die Frau aus Alanya ist, die eine Künstlerin aus dem fernen Korea kennt.
In Kürze erklärt:
Im November 2015 hatte ich, über ihre Arbeit, die Bildhauerin Anna aus Polen kennengelernt. (Siehe Beitrag "12. Bildhauer Symposium ...")
Im Frühjahr war sie mit Sohn und Ehemann, einem gebürtigen Ukrainer, zu einem weiteren Symposium nach Korea geflogen, wo sie Hoyoung Im und deren Arbeit kennenlernte.
Anna's Mann bewarb sich für das diesjährige Holzbildhauersymposium in Alanya und empfahl Hoyoung ihre Entwürfe ebenfalls einzusenden. Hoyoungs Arbeiten fanden Gefallen bei der Jury und so durfte Sie den nasskalten Monat November in der sonnigen Türkei verbringen.
Anna informierte mich über ihre Ankunft. Ich begrüßte Hoyoung am Tag als die Stämme geliefert wurden und stellte mich vor. So wurden wir bekannt.
(Der Zugang war um so leichter, als ich vor vielen Jahren einen Koreaner zum Freund hatte, meinen Judo Lehrer.)
Hoyoung ist von Zigmunds' Entwurf begeistert, ich hingegen von Saeids spielerischen Entwurf "A girl wants to fly".
Trotzdem, ich solle die "Snakes" einmal näher betrachten und Zigmunds' Arbeit im Auge behalten. Er sei Lette, spreche kaum Englisch, weshalb es schwierig sei mit ihm in Kontakt zu kommen. Der einzige, der sich mit ihm unterhalten könne sei Saeid, der Iraner, der in der Ukraine lebe.
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Bevor ich mich verabschiede frage ich Hoyoung ob es den anderen etwas ausmachen würde, wenn ich die Arbeit an den Skulpturen aus der Nähe fotographierte. Kein Problem.
Marco, Saeid, Hermann, aufgeschlossen wie immer. Zigmunds' stumm wie ein Fisch, Ulises einsilbig. Mit Gemma, seiner Lebensgefährtin von den Canaren, wechsle ich ein paar Sätze auf Englisch. Ihr Temperament ist dem von Ulises diametral entgegengesetzt. Polarität in der Extreme.
An Zigmunds Arbeit gehe ich schnell vorbei, denn er schaut mich nicht grad einladend an, von Ulises noch liegendem Gitarre Spieler schieße ich schnell ein Foto und verschwinde.
Seltsame Typen, besonders Zigmunds. Da ist dieses Bauchgefühl ... Ob ich jemals einen Zugang zu diesen beiden zugeknöpften Künstlern finden werde ?
Für den kommenden Montag hat mich Hoyoung zum Abendessen ins Hotel eingeladen. Jeder Künstler dürfe eine Person mitbringen. Und da sie allein hier sei, sei ich herzlich eingeladen. Nach dem Essen gebe es eine Präsentation, die sei immer sehr interessant.
Ich verstehe nicht recht was gemeint ist. Vor einem großen Publikum? Vor den Angestellten des Rathauses ? Hake aber nicht nach sondern lasse mich überraschen.
Außer den Künstlern wohnen im November nur wenige Gäste im Hotel, so können wir das Abendbrot unter uns genießen. Der hervorragende Rotwein löst die Zungen nur nicht bei Zigmund's und Ulises.
Nachdem dem Essen kommen Laptop und Tablets zum Vorschein. Burcu beginnt mit ihrer Präsentation. Mir gefällt ihr Fable für Männergruppen, deren Haltungen und Physiognomien, typisch. Männer, die nicht den Eindruck erwecken als würden sie jemals lachen. Zu beschäftigt mit Geschäften und Machtspielen.
Am letzten Tag des Symposiums frage ich sie, ob sie mir die Fotos zukommen lasse könne. Ja, unter der Bedingung, dass ich sie nicht veröffentliche, denn sie suche noch eine Gallerie für ihre Skulpturen.
Als zweiter präsentiert der junge Oguzhan, seine Arbeiten, er liebt die Abstraktion wie ich in den nächsten Tagen zeigen werde.
Zuletzt präsentiert Hermann, ein Österreicher, der unter bulgarischer Flagge arbeitet, sein Exposé. Er ist mit einer Bulgarin verheiratet und lebt ( zur Zeit noch ) dort.
Seine Arbeiten sind spannend und bizarr zugleich. Ich reibe mir die Augen, auch seine Bildhauerkollegen, blicken verwundert auf "die Häuser der Zukunft". Sie sind einfach unbeschreiblich. Ein Kulturschock! denn ich begeistere mich nämlich gerade für eine Architektengruppe aus Kasachstan, in deren heimelige Häuser ich sofort einziehen würde. Jedes Jahr in ein anderes, aber dazu später.
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Eines von Hermanns' Fotos zeigt eine abstrakte Figurengruppe. Jeder Kopf ein Loch, umrandet von poliertem Holz.
Eine Gruppe schwatzender Menschen, ohne Hirn, erklärt Hermanns. Wir brechen in Gelächter aus. Jeder kennt solche Gruppen. Ich denke dabei an meine neuen Nachbarn und an eine ganz besondere Gruppe, deren Inhaltsleere mich in die Flucht getrieben hat, direkt in die Arme der Künstler. Eigentlich sollten wir solchen Menschen, Gruppen, dankbar sein, dass sie uns unser Anderssein bewusst machen. In den siebziger Jahren haben sie uns zur Flucht nach Westberlin veranlaßt - von Westdeutschland aus !
Während ich mit Hermann rede und lache kommt mir der Kunstgeschichteunterricht in den Sinn. Auch dort wurde viel gelacht, denn Kunstgeschichte ist Geschichte mit Perspektivwechsel.
Ich erzähle Hermann davon. Stelle Fragen zu seiner Skulptur und teile ihm meine Interpretation mit. Wir lachen wieder schallend. Gut, dass uns niemand versteht.
Das Interessante an Hermanns Skulptur sei, fügt Hoyoung hinzu, dass alle Einzelteile - und dass sind viele - aus einem einzigen Baumstamm stammen. Welch eine Arbeit.
Neben Hoyoung sitzt Saeid, der Iraner, der mit einer Ukrainerin verheiratet, in ihrem Land lebt. (Wir sind schon ein illustres, polyglottes Völkchen, denke ich bei mir. Aber wie spannend ist das ! Wie bereichernd !)
Saeid richtet ein paar Sätze an Zigmunds. Das holt den Zurückhaltenden etwas aus seiner Isolation.
Ich frage ihn nach seiner Schlangenstatue. Die Schlangen seien nicht als echte Schlangen zu betrachten, übersetzt Saeid. Also, metaphysisch ? Ja, metaphysisch. Er habe Angst vor Schlangen.
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Für einen kurzen Moment versetze ich die Künstler in eine ihnen völlig fremde Welt, indem ich Ihnen von meiner Schlangen-Erfahrung im Süden Ugandas berichte, wo wir Mitte der achtziger Jahre zwei Massenimpfkampagnen durchgeführt hatten. Eine Masernepidemie hatte zum Tod unzähliger Kinder geführt. Als wir mitsamt unserer Ausrüstung wieder einmal stundenlang am Straßenrand auf einen LKW warten mussten, erzählte uns der Health assistant, dass dieses Gebiet eigentlich unbewohnbar, da voller Schlangen sei. Statt die Verbrecher in Gefängnisse zu sperren und zu versorgen habe man sie in hierher geschickt, um das Gebiet urbar zu machen.
Die afrikanische Variante des russischen Roulett's.
Reizende Aussichten. Wer oder was stellte das größere Übel dar, die Kriminellen oder die Schlangen ? Ab sofort schauten wir noch genauer hin wo wir hintraten, auch auf die Bäume. Aber außer einem halbtot Geschlagenen, in seinem Blut Liegengelassenen, ein paar Fledermäusen und Ratten, nachts, war uns in den vier Wochen nichts weiter begegnet.
Erst in Nairobi, im Zoo, sehe ich einen Baum, auf dessen Geäst sich hunderte grüne Mambas ringeln.
Burcu wird ans Telefon gerufen und kommt mit einer erfrischenden Nachricht zurück. Morgen sei arbeitsfreier Tag, statt dessen gebe es einen Workshop für Kinder.
Ich denke gleich an Zigmunds, und frage mich wie er mit einer Kinderschar zurechtkommen wird.
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Jetzt zu Zigmunds' Schlangen.
Letzter Tag. Gemeinsam mit wenigen Besuchern warten wir an diesem regennassen Wintertag - dem ersten von 50 - auf die Übergabe der Urkunden.
Wir spazieren herum schauen uns nochmals alle Skulpturen an und machen Fotos.
Mich zieht's immer wieder zu den Schlangen.
Ihre Gesichter sind freundlich - friedliebend.
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Als wir vor Ulises "Hombre con Gitarra" stehen erklärt Marko ihm in ihrer spanischen Muttersprache, dass ich auf dem Gymnasium Kunstgeschichte gewählt hätte. Plötzlich scheint Ulises aufzuwachen, denn später beim Tee fragt er mich ob ich mit ihm zu Siegmunds Skulptur gehen möchte, er wolle mir etwas zeigen.
Angekommen weist er, ein wenig englisch sprechend, auf die bearbeiteten Bruchstellen hin, die mir schon zuvor als 'anders' aufgefallen waren.
Zigmunds hätte passende Holzkeile hergestellt und sie eingesetzt. Ich sage ihm, dass er mit seinem Stamm großes Glück gehabt hätte. Ganz im Gegensatz zu Sedar, der eine kranken Stamm erwischt hat.
Ich schaue auf die Astlöcher sie sind bestens verteilt und das Holz um sie herum ist wunderbar Mazeriert. Ein Kunstwerk an dem zwei Künstler gearbeitet haben, die sich hervorragend ergänzen. Die Natur selbst und Zigmunds.
Wir spazieren weiter. Mir gefällt Ulises ruhige Art, auch ihm würde ich gern stundenlang zuhören. Es sei bereits siebente Symposium in die Türkei an dem er teilnehme. Wir hoffen uns im nächsten Jahr wiederzutreffen, versichern wir uns.
Das Leben geht manchmal seltsame Wege...
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Zigmunds scheint uns aus der Ferne beobachtet zu haben. Als die Urkunden verteilt sind und das Gruppenfoto geschossen ist, kommt er auf mich zu, zückt eine große Postkarte mit acht Bildern aus seiner Tasche und überreicht sie mir. Das erstaunt sogar Saeid, der neben mir steht.
Wenn ich an seiner Kunst interessiert sei, sagt er schüchtern und etwas verlegen auf englisch, solle ich mal in seiner Galerie vorbeischauen.
Mir schwant etwas... Ein Blick auf die Karte bestätigt mein Bauchgefühl. Ich stecke sie schnell ein.
Zum Abschied schieße ich noch ein Foto mit Zigmunds, der jetzt genauso freundlich dreinschaut wie seine Schlangen.
Liebe auf den zweiten Blick.
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Zuhause angekommen studiere ich die Karte. Was mir ins Auge fällt sind künstlerische Reife und Perfektionismus, allein einige Themen versetzen mich in Schockstarre. Also besuche ich seine Gallerie:
" Mein Name ist Sigmund Bielis
Ich bin ein Bildhauer.
Mein Motto Kunst: Ausdruck, Eleganz, Erotik.
Ich versuche, einen dauerhaften künstlerischen Wert nachhaltig zu schaffen.
Die Materialien, vor allem Bronze oder
Eis Zauber des Augenblicks einzufrieren.
Ich erschaffe Werke aus Holz, Stein, Glas, etc. traditionellen und weniger traditionellen Materialien.
Staffelei und Monumentalkunst.
Realistisch und abstrakt.
aber -
als Kern hat es die objektive Sicht auf den menschlichen Körper.
Rehabilitation von Schönheit in der Kunst." (Aus dem Lettischen übersetzt.)
© Zigmunds Bielis
"Künstler sind Leute, die etwas tun, für das sich andere Leute schämen würden." Georg Baselitz
Hier noch die gehässige Variante:
"Kunst ist nicht, wenn man in die Stube scheißt. Kunst ist, wenn man unter Beifall in die Stube scheißt." Berthold Brecht
Vor ein paar Monaten hatte ich mir erlaubt Anna zu schreiben, dass mir das Werk, einer einer von ihr hochgeschätzten Künstlerin, nicht gefiele (weil die abstrakten Beine eines Jesus am Kreuz 4x so lang waren wie der ebenso abstrakte Oberkörper. ) Die heftige Antwort überflog Polen, die Ukraine, Rumänien, Bulgarien, Istanbul in Sekundenschnelle ... Seit dem erlaube ich mir beim Betrachten eines Werkes höchstens im stillen Kämmerlein den Gedanken , dass ich es nicht mag - und auch das nur für wenige Minuten. Danach setzt Bauchgefühl aus, die Hirnarbeit ein und ich fange an herum zu analysieren und zu recherchieren.
Das Unangenehme bei den Künstlern ist nämlich, dass sie genau erklärt haben wollen, warum man etwas nicht mag.
"Bauchgefühl" ist da ein tolles Argument und Synonym für Ahnungslosigkeit.
Seitdem zieht mich (oder ziehe ich) das Außergewöhnliche an, stelle ich leicht beunruhigt fest; aus dem einfachen Grund weil es mir das Gähnen aus dem Gehirn treibt.
So erging's mir mit Zigmunds Werken.
Stundenlang ging ich mit einigen seiner Bilder schwanger. Bis mir einfiel was (Prof.) Joseph Beuys auf einer Bienale gesagt hatte, als er sich mitsamt seinem Hut auf einer Toilettenschüssel sitzend ablichten ließ: "Alles ist Kunst." (So habe ich es zumindest in Erinnerung.)
Damals konnte ich damit nicht viel anfangen. Impressionisten u. Pointilisten begeisterten mich. (Letztere langweilen mich heute, aber damals spürte ich eine Seelenverwandtschaft mit den 'Düpfli Schiesser' . )
Der Blickwinkel eines Künstlers auf die Wirklichkeit ist ein anderer als der eines durchschnittlichen Menschen.
Joseph Beuys war eine der prägenden Personen von "Fluxus", einer von dem Litauer George Maciunas in den sechziger Jahren gegründeten Kunstrichtung, von der wohl auch Zigmunds geprägt wurde.
Wer einen Schnellkurs über diesen Abschnitt der Kunstgeschichte belegen will, dem empfehle ich "Fluxus Wikipedia".
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