Mittwoch, 26. Oktober 2016
Der Tag, an dem mein Freund ins Wachkoma fiel.
Nachruf

Wir kannten uns seit einem Jahr. Du kamst aus einer gut beleumundeten Familie, chinesischer Abstammung, also ließ ich mich mit Dir ein.

Die klimatischen Verhältnisse nördlich der Alpen, das triste Grau fränkischer Wintermonate hatte ich sieben lange Jahre ertragen - viel gelernt, viel gelitten, etwas gegeben, einiges bekommen, dann war's genug.

Teils verschenkte, teils verkaufte ich meine Habseligkeiten, etliches kam auf den Müll, wertvolles in den Container. Zum Schluss packte einen Koffer und verschwand in Richtung Wintersonnenwärme, Strand und Meer.

Eine kurze Zwischenstation legte ich bei Bekannten, deinen Landsleuten, ein, eine zweite bei einem Moralsadisten namens 'Kurt' in einer siechen Kleinstadt, umgeben von Eisen-, Stahl- und Aluminumwerken mit ihren stinkenden Schloten. Très prés de la frontière française. Quel Lichtblick.

Dort hatte ich dich gefunden, zu mir genommen, gehegt und gepflegt, mit Karajan bestückt. Wir wurden unzertrennlich.

Du warst zehn, verständlich, dass Du nicht alles wissen und können konntest. Trotzdem, manchmal, oft, nein täglich, gingst Du mir gehörig auf die Nerven, Du mit deiner unausgereiften Eigenständigkeit.

Das änderte sich neun Monaten später.

Nachdem ich Dich einer dreistündigen Update-Therapie unterzogen hatte zeigtest Du einen ersten Anflug von Reife.

Wir wurden ein tolles Team. Du stelltest Verbindungen her, versandtest E-Mails, minimiertest Bilder. Irgendwann, jedoch, ging Dir die Energie aus. Unmöglich sie Dir wieder einzuhauchen. Du wurdest schwächer und schwächer, bis du mit einem letzten rötlichen Flackern ins Koma fielst.

Eiligst brachte ich dich zum Spezialisten, der Dich auf Herz und Nieren prüfte, Elektroden anlegte, an Dir herum piekste, um nach nervenzerrender Wartezeit endlich die Diagnose au stellen. Sie war entmutigend.

Trotzdem nahm er seine Instrumente, legte dich unter eine Lupe, kauterisierte, transplantierte, während ich neben Dir stand und betete. Es half nichts, am Ende stellte der Chirurg fest, dass ihm ein wichtiges Organ fehlte.

Du bliebst stumm, kein Zeichen von Leben.

Ich kontaktierte die Datenbank in Deutschland. Sie hätten zwar das passende Organ, auch einen Energiespender, dürften beides jedoch nicht in die Türkei senden.

Ich müsse die Adresse eines Deutschen angeben, der bereit wäre das Organ in Empfang zu nehmen und es in die Türkei zu transportieren. (That's Deutschland !)

Bis dahin liegst Du weiter im tiefen Schlaf.

Ich würde Dir zu gerne mitteilen wie sehr mir deine Macken fehlen.



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